Angst ist eines unserer Urgefühle, das uns vor Gefahren schützen soll. Was läuft aber bei einer Angstreaktion im Gehirn und im Körper genau ab? Dieser Vorgang ist so vielschichtig und komplex, wie unser Gefühlsleben selbst. Deshalb versuche ich die Angstreaktion so einfach und nachvollziehbar wie möglich zu erklären. Expertinnen und Experten mögen mir verzeihen, wenn ich nicht jedes einzelne Detail beschreibe.
Angst oder eine Angstreaktion läuft zunächst immer auf drei unterschiedlichen Ebenen ab:
Auf der körperlichen Ebene läuft bei Angst eine automatische Alarmreaktion ab, die ich weiter unten beschreibe und die wir kaum beeinflussen können. Die körperlichen Empfindungen wie Zittern oder Schwitzen sind jedoch völlig ungefährlich. Auch bei anderen Gefühlen wie Freude gibt es eine körperliche Reaktion. Menschen, die unter einer Angststörung leiden, erscheinen diese körperlichen Veränderungen jedoch bedrohlich.
Auf der kognitiven Ebene spielen sich die Gedanken, Einstellungen, Vorstellungen und Bewertungen ab. Wie bewerte ich also eine Situation, in der ich mich befinden. Ist sie wirklich gefährlich? Menschen mit Angststörungen richten ihre Aufmerksamkeit besonders stark auf mögliche oder vorgestellte Gefahren. Da sie dies förmlich "einüben" (unbewusst natürlich), kommt es mit der Zeit zu einem "Angstdenken", das automatisch abläuft. Schon der erste Gedanke an eine vorgestellte Situation löst in der Folge Angst aus.
Auf der Verhaltensebene führt Angst schließlich zu einem Verhalten. Wir versuchen zu fliehen oder zu kämpfen. Ist sie sehr stark, sind wir eventuell wie gelähmt. Was bei Gefahr nötig ist, um zu handeln, ist bei Angstpatienten meist nicht hilfreich - zum Beispiel Flucht vor einer Angst auslösenden Situation, die eigentlich keine Gefahr bedeutet.
Diese drei Ebenen hängen eng zusammen und beeinflussen sich gegenseitig (und sie geben schon Hinweise auf die therapeutischen Ansätze).
An der Entstehung einer Angstreaktion sind verschiedene Abschnitte im Gehirn beteiligt, die ich hier kurz vorstelle (unter den Links findet ihr nähere Infos zu den einzelnen Hirnabschnitten):
Ob eine Situation bedrohlich ist oder nicht, wird innerhalb des Gehirns auf zwei Wegen geprüft: Der eine ist einfach, kurz, schnell und - leider - fehleranfälligen. Der andere ist langsam, genau analysierend und prüfend.
Der erste Weg - auch als "quick and dirty" (schnell und schmutzig) - bezeichnet, sicherte früher (und auch heute noch) unser Überleben: Wir sind in der Lage, bei Gefahr sofort mit Kampf oder Flucht zu reagieren und müssen nicht erst überlegen, ob der Säbelzahntiger vor der Höhle gefährlich sein könnte. Zwei entwicklungsgeschichtlich sehr alte Hirnteile (Amygdala und Hirnstamm), arbeiten hier miteinander und setzen den Sympathikus des vegetativen Nervensystems und die Hormonausschüttung in Gang. Kampf oder Flucht sind vorbereitet - ohne, dass wir bisher eine bewusste Entscheidung treffen mussten oder konnten. Vermutlich ist es nicht ganz korrekt, aber hier greift so eine Art Instinkt.
Der zweite Weg macht den Umweg über das Großhirn. Hier wird die Situation genauer analysiert, bewertet und der erste Weg - wenn nötig - korrigiert. So ist es möglich, dass wir schließlich darüber lachen können, dass wir uns vor dem Bruchteil einer Sekunde noch vor unserem eigenen Schatten gefürchtet haben, weil wir ihn irrtümlich für einen Säbelzahntiger hielten.
Während der erste Weg blitzschnell ist - quasi der Highway -, ist der zweite Pfad gemächlicher und braucht etwa doppelt so lang, bis es zu einer Reaktion kommt. Hier ist die Information eher wie auf einem ausgefahrenen Feldweg unterwegs. Bis also die Rückmeldung des längeren und genaueren Weges vorliegt, hat der kurze, schnelle Weg schon längst seine Wirkung auf den Körper erzielt: Wir sind im Kampf- oder Fluchtmodus. Der zweite Weg muss hier nun gegensteuern, wenn sich die Angst als unbegründet erweist. Im Einzelnen funktioniert das so:
Eine Angstreaktion läuft in drei Phasen ab:
Ausgangspunkt einer möglichen Angstreaktion ist der Thalamus oder das "Tor zum Bewusstsein". Der Thalamus ist eine wichtige Schaltzentrale für Nachrichten, die bei ihm von den Sinnesorganen (Nase, Mund, Ohr, Auge und Haut) über das Gehirn bzw. über die entsprechenden Arealen der Hirnrinde eingehen. Alle Sinnesreize, die uns bewusst werden sollen, müssen erst über den Thalamus laufen - daher wird der Thalamus auch "Tor zum Bewusstsein" genannt. Eine Ausnahme bildet der Geruchssinn.
Die eingehenden Sinnesreize schickt der Thalamus weiter an die Amygdala (kurze Pfad) und parallel dazu an den Hippocampus im limbischen System sowie an die Großhirnrinde (lange Pfad).
Nehmen wir an, wir gehen im Wald spazieren. Plötzlich hören wir ein verdächtiges Rascheln im Gebüsch - und wir können nicht sehen, dass es nur eine Katze ist: Über das Ohr empfangen wir das Geräusch, welches zum Hörzentrum der Großhirnrinde gelangt und von dort zum Thalamus geschickt wird. Der Thalamus schickt diese Information sofort auf die beschriebenen zwei Wege: Zum einen geht eine "grobe Skizze" des Sinnesreizes an die Amygdala. Sie soll eine schnelle Einschätzung treffen, ob Gefahr besteht oder nicht. Sie ist sich in diesem Fall nicht sicher, ob eine Katze oder aber ein Löwe im Gebüsch sitzt und schlägt vorsichtshalber Alarm, indem sie über den Hirnstamm und den Hypothalamus den Körper in den Kampf- oder Flucht-Modus versetzen lässt.
Die Hypothalamus sorgt dafür, dass Hormone ausgeschüttet werden: Vor allem das (Stress-)Hormon Adrenalin, aber auch Noradrenalin und Kortisol. Adrenalin stellt dem Körper einen zusätzlichen Energieschub zur Verfügung, in dem es über die Leber Glukose freisetzen lässt, wodurch der Blutzuckerspiegel steigt (=mehr Energie). Zudem aktiviert es ein Enzym, das Fett aus den Fettdepots löst. Dieses Fett wird dann zur Fettsäure umgebaut und dient dem Organismus ebenfalls zur Energiegewinnung. Adrenalin verbessert zudem die Sauerstoffversorgung des Organismus. Jetzt haben wir also genug Energie und Luft, um zu kämpfen oder zu fliehen...
Da die Aktivierung des Körpers über das Hormonsystem etwas länger dauert, sorgt gleichzeitig der Hirnstamm über die Nerven dafür, dass der Körper kampf- oder fluchtbereit ist: Er aktiviert das vegetative Nervensystem, genauer gesagt den Sympathikus.
Die Folge von hormoneller und nervaler Aktivierung des Körpers sind:
Der US-amerikanische Psychologe und Neurowissenschaftler Joseph Le Doux hat es treffend formuliert: "Sobald man sich in Gefahr befindet, reagiert man schon. Die Evolution denkt für dich." (Angstpatienten würden sehr gerne auf diese Unterstützung - zumindest teilweise - verzichten). Wir können also auf diese Art und Weise blitzschnell auf Gefahr reagieren.
Was passiert derzeit auf dem längeren Weg? Auf dem längeren Weg bewerten parallel Hippocampus und der präfrontale Cortex (bestimmtes Gebiet der Großhirnrinde) die Situation. Gedächtnisinhalte und Erfahrungen werden durchforstet (Kenne ich das Geräusch? - Ja. Klingt nach kleinem Tier.) sowie das Bewusstsein und der Verstand eingesetzt (Gibt es hier überhaupt Löwen? - Nein.). Während diese Überprüfung läuft, ist der Körper allerdings schon im Alarmmodus. Erst verzögert erhält die Amygdala die Rückmeldung, dass die Situation in diesem Fall nicht bedrohlich ist.
Zu guter letzt springt die Katze aus dem Busch und läuft davon. Wir können uns wieder beruhigen und die Anpassungsreaktion beginnt.
Der Alarm ist vorbei und wir können uns wieder entspannen. Dafür wird über das Gehirn der Parasympathikus aktiviert und der Abbau der Stresshormone beginnt. Das Herz schlägt wieder ruhiger, der Blutdruck sinkt, die Blutgefäße weiten sich, die Spannung der Muskulatur lässt langsam nach. Der Körper kommt wieder ins Gleichgewicht. Zudem werden auch die Verdauungsvorgänge durch den Parasympathikus wieder befördert. Angstpatienten können in diesen Momenten Brechreiz, Übelkeit, Durchfall oder Harndrang verspüren. Dieses Herunterfahren kann manchmal sehr lange dauern, da gerade die Stresshormone eine gewisse Zeit brauchen, bis sie abgebaut sind (Bewegung hilft, den Abbau zu beschleunigen).
Und: Solange der Sympathikus aktiv ist, kann der Parasympathikus nicht für den so wichtigen Ausgleich sorgen. Angstpatienten haben leider sehr häufig einen hyperaktiven Sympathikus. Daher ist es für sie besonders wichtig, zum Beispiel über bewusste Entspannung den Sympathikus herunterzufahren, damit der Parasympathikus zum Zuge kommt.
Sobald Alarm und Anpassung geschafft sind, braucht der Körper Erholung. Denn alles, was er bis hierhin vollbracht hat, war anstrengend. Die Energiespeicher müssen sich wieder auffüllen und die Muskulatur regenerieren. Die Regenerationsphase beginnt. Entspannung ist also auch eine ganz natürliche Reaktion, die der Körper braucht.
Hält die Stress- oder Alarmreaktion aber an - befinden wir uns also im Dauerstress, ist diese Erholung nicht möglich. Die Energievorräte werden aufgebraucht, wir fühlen uns matt, erschöpft und kraftlos, vielleicht sogar depressiv. Die Wissenschaft weiß mittlerweile, dass dauerhafter Stress die Erregbarkeit der Nerven erhöht. Das führt wiederum dazu, dass Betroffenen noch leichter mit Angst reagieren. Der Körper ist in einer permanenten Alarmreaktion.