Schmerzen und seelische Störungen

Schmerzen und seelische Störungen können durchaus zusammen auftreten und eine sehr komplizierte Verbindung eingehen.

Es gibt einige seelische Erkrankungen, bei denen der Schmerz zum kennzeichnenden Merkmal gehören kann, wie bei der somatoformen Schmerzstörung. Andersherum können auch Schmerzen, gerade wenn sie chronisch auftreten, seelische Störungen wie Depressionen auslösen oder verstärken.   

 

Schmerzen, vor allem akute Schmerzen, erfüllen eine wichtige Warnfunktion, zum Beispiel wenn durch Verbrennungen oder Schnitte Schäden an Haut oder Muskulatur drohen. Sie folgen direkt auf einen Schmerzauslöser und lösen bei uns sofort eine Handlung aus (zum Beispiel das Wegziehen der Hand von der heißen Herdplatte).

 

Bei chronischen Schmerzen hingegen hat der Schmerz seine eigentliche Warnfunktion verloren. Sie sind meist Ausdruck einer Fehlfunktion des Organismus. Chronische Schmerzen entstehen, weil Nervenzellen lernen und ein Gedächtnis, das sogenannte Schmerzgedächtnis, bilden können. Die Schmerzwahrnehmung erfolgt durch Erinnerung an frühere Ereignisse und nicht mehr durch einen akuten Schmerzauslöser.

 

Chronische Schmerzen können sehr zermürbend sein und die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität stark beeinträchtigen, wenn nicht sogar ganz zerstören. Schwierig wird es, wenn solche chronische Schmerzen dann auch noch ohne organische Ursache auftreten (siehe Somatoforme Störungen).

 

Das Schmerzempfinden als solches und die Schmerzschwelle ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und nicht objektivierbar. Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass Menschen, die zum Beispiel unter Angststörungen oder Depressionen leiden, viel schmerzempfindlicher sind als andere. Warum ist das so? Psychische Erkrankungen senken die Schmerzschwelle und verstärken somit den organischen Schmerzreiz.

  

Hier einige Beispiele, bei denen Schmerz und seelische Störung Hand in Hand gehen:

 

Somatoforme Störungen - wenn die Seele den Körper krank macht

Somatoforme (als auf den Körper bezogene) Störungen beschreiben Symptome, die körperlich nicht begründbar sind und deren Ursachen oft in unverarbeiteten seelischen Konflikten liegen. Eine Untergruppe der somatoformen Störungen ist die somatoforme Schmerzstörung. Diese äußert sich in anhaltenden, schweren und quälenden Schmerzen, für die keine oder keine ausreichende organische Erklärung gefunden werden kann. Oft haben Betroffene einen langjährigen, ergebnislosen Untersuchungsmarathon hinter sich und suchen weiterhin verstärkt ärztlichen Rat. 

 

Den Hintergrund dieser Schmerzerkrankung bildet eine Störung der Schmerz- und Stressverarbeitung: Seelische Belastungssituationen, emotionaler Stress und Konflikte spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung der Schmerzen.

Die Schmerzen treten häufig im Lendenwirbelbereich oder in Armen und Beinen auf. Aber auch Gesicht und Unterleib können betroffen sein. Bei manchen Betroffenen wechselt der Schmerz auch seine Lokalisation. Schwindel, Magen-Darm- sowie Herz-Kreislauf-Beschwerden können den Schmerz verstärken und mitunter gesellen sich depressive oder Angstsymptome dazu. Ein Teufelskreis.  

Oft scheinen eine Reihe psychischer und sozialer Belastungen in Kindheit und Jugend für die spätere Entwicklung einer somatoformen Schmerzstörung ursächlich zu sein. Hierzu zählen Stress in der Ursprungsfamilie, beispielsweise durch Alkoholismus oder chronische Krankheit bei einem Familienmitglied, Scheidung der Eltern oder durch körperlichen Missbrauch und emotionale Vernachlässigung. Die negativen Gefühle, die durch Ausgrenzung, Mangelsituationen
(Mangel an Zuwendung) oder Verlusterfahrungen hervorgerufen werden, verknüpfen sich mit Schmerz. Auffallend ist, dass Betroffene, befragt nach ihrer Kindheit und Jugend, im ersten Moment mit "Bei mir war alles normal." reagieren. Oft berichten sie erst auf intensive Nachfrage des Arztes von belastenden Ereignissen. Es fällt ihnen zudem schwer, die emotionale Bedeutung dessen zu erfassen, was sie in der Kindheit erlebt haben. Für die Betroffenen war es ja "normal" und die Identifizierung mit dem Aggressor (kleine Kinder können sich im Empfinden noch nicht von anderen Personen distanzieren) stumpfte das eigene Selbstempfinden ab. Im Erwachsenenalter suchen Betroffene dann infolge der Selbstwertproblematik permanente Anerkennung und sind leicht kränkbar. Eine psychische Ursache der Schmerzen lehnen sie aus Angst vor einer Stigmatisierung meist ab. Eine schwere seelische Krise droht, da das ganze seelische "Elend" emotional erfasst und verarbeitet werden muss.  

 

Viele bekannte Zitate beschreiben das Phänomen, dass sich die Seele über den Körper Gehör verschafft:

  • "Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare." (Christian Morgenstern)
  • "Geh du voran", sagte die Seele zum Körper, "denn auf mich hört er ja nicht." "In Ordnung", sagte der Körper, "ich werde krank werden, dann hat er Zeit für dich." (Goethe, aus Faust II)
  • Und schon Platon wusste: "Der größte Fehler bei der Behandlung von Krankheiten ist, dass es Ärzte für den Körper und Ärzte für die Seele gibt, wo doch beides nicht voneinander getrennt werden kann. Willst du den Körper heilen, musst du zuerst die Seele heilen."

 

Dankenswerter Weise beherzigt die Medizin mittlerweile den Grundsatz, das Körper und Seele zusammen gehören. Wichtig ist, dass weder voreilig nach psychischen Ursachen für körperliche Symptome gesucht wird und eine gründliche körperliche Untersuchung unterbleibt, noch, dass die Wirkung der Seele auf den Körper unterschätzt wird. 

 

 

Funktionelle Schmerzstörung

Bei funktionellen Schmerzen kommt es meist durch psychosozialen Stress im Sinne einer Überforderung zu nachweisbaren Spannungszuständen der Muskulatur. Diese können sich dann in Lumbalgien ("Hexenschuss"), Kopfschmerzen oder Gesichtsschmerzen im Bereich der Mund- beziehungsweise Kaumuskulatur (orofaciales Schmerzdysfunktionssyndrom) äußern. Oft haben Betroffene eine ängstliche Grundpersönlichkeit oder Neigung zur Angstreaktion, die das Stress-Erleben verstärkt. Dann melden sich - zu den Schmerzen - auch die bekannten Symptome der Angstreaktion wie Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Engegefühl und eine weitere Anspannung der Muskulatur... 

 

 

Depressive Störungen

Auch bei Depressionen kann es zu Schmerzsymptomen kommen. Dabei gibt es das Phänomen, dass eine depressive Störung die Schmerztoleranz des Körpers senkt und der Betroffene somit schmerzempflindlicher wird. Andererseits können anhaltende Schmerzen zu einer depressiven Reaktion führen, die das Gesamtbild schließlich chronisch werden lässt. Manchmal kann sich eine Depression auch durch Kopf- oder Rückenschmerzen und Abgeschlagenheit bemerkbar machen und nicht durch eine bedrückte Stimmung (maskierte oder larvierte Depression). Weder Betroffene noch das Umfeld kämen zunächst darauf, dass es sich um eine depressive Episode handeln könnte, bis diese dann diagnostiziert ist. 

 

Die Entstehung eines depressionsbedingten Schmerzbildes hängt aber auch von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen ab: Wie sehr sucht er Anerkennung? Wie sehr neigt er zur Überforderung? Kann er rechtzeitig "Nein" sagen und sich damit abgrenzen? Kann er Ärger nach außen zeigen oder schluckt er alles, bis hin zu der einseitigen Schuldzuweisung an sich selber: "Ich bin nichts, ich kann nichts, keiner mag mich und an allem bin ich selber schuld."?

 

 

Hypochondrie

Bei der Hypochondrie beschäftigen sich Betroffene beharrlich mit einer oder mehrer Krankheiten, die sie meist als schwerwiegend oder langwierig empfinden, die sich aber nicht objektivieren lässt. Schmerzzustände stehen dabei mit an erster Stelle. Zu dieser ernst zu nehmenden Erkrankung kommt es meist aufgrund einer ängstlichen Grundpersönlichkeit. Betroffene überbewerten normale Körperempfindungen und alltägliche Schwankungen des Befindens, die zwar lästig, aber nicht gefährlich sind. 

 

 

Posttraumatische Belastungsreaktion

Auch posttraumatische Belastungsreaktionen können Schmerzzustände verstärken oder auslösen.